Alternativ zu den griechischen Bezeichnungen der Modi spricht man zuweilen auch
von "Ionisch 1 - 7" *) Dur = Ionisch 1, Moll = Ionisch 6
und bezieht sich entsprechend auf die Gesamtheit der Modi als das "Ionische System" (anstelle von Dur-Moll-System).
Jeder Modus ist Ausgangspunkt eines Akkordes, der auf dem jeweiligen Grundton aufgebaut wird -
es entstehen die sieben Akkorde des Dur-Moll-Systems :
Das Tongeschlecht, Dur oder Moll, entscheidet sich durch das Intervall 3: Skalen und Akkorde mit b3 stehen in Moll, solche mit 3 in Dur.
Bei den sieben Tönen der weißen Tasten war ausschlaggebend, auf welchen Ton wir uns als Anfangs- und Endton, als Grundton bezogen haben. So entstand auf jedem
der sieben möglichen Anfangstöne eine Tonleiter mit eigener Charakteristik (ein Modus).
Analog dazu verhält es sich mit den sieben Akkorden des Dur-Moll-Systems: je nachdem, auf welchen Akkord wir uns als Anfangs- und Endklang, als Grundakkord beziehen,
entsteht eine andere Tonart .
Tonart C-Dur
Cj7
D-7
E-7
Fj7
G7
A-7
B-7/b5
Cj7
D-7
E-7
Fj7
G7
A-7
B-7/b5
Tonart
A-Moll
Tonart F lydisch
Tonart D dorisch
Innerhalb einer Tonart nennen sich die sieben Akkorde Stufenakkorde der Tonart.
Beispiel: In der Tonart D dorisch lauten die Stufenakkorde: D-7 E-7 Fj7
G7 A-7 B-7/b5 Cj7
Alle Modi im Dur-Moll-System haben also denselben Akkordvorrat. Unterschiede bei den Stufenakkorden der Modi werden deutlich, wenn
wir die Akkordstufen relativ zum Grundton benennen - analog zu den Stufen-Bezeichnungen der Tonleitertöne / Intervalle, aber in römischer Zahlschrift :
Dur (Ionisch)
Ij7
II-7
III-7
IVj7
V7
VI-7
VII-7/b5
Moll (Aeolisch)
I-7
II-7/b5
bIIIj7
IV-7
V-7
bVIj7
bVII7
Lydisch
Ij7
II7
III-7
#IV-7/b5
Vj7
VI-7
VII-7
Dorisch
I-7
II-7
bIIIj7
IV-7
V-7
VI-7/b5
bVIIj7
u.s.w.
...
...
...
Diese Stufendarstellung reduziert die Akkorde auf die Merkmale, die für die klangliche Wirkung
innerhalb der jeweiligen Kadenz verantwortlich sind:
diatonische Stufe *) diatonisch = bezogen auf eine bestimmte Tonleiter und Akkordtyp .
Wie gezeigt wird aus jedem Modus ein Akkord gebildet. Zu jedem Akkord wird wiederum mit der Skala des zugehörigen (Herkunfts-) Modus soliert. Der Begriff "Chordscale" (Akkordskala)
betont diesen Zusammenhang von Akkord und Skala.
Dur (Ionisch)
Ij7
II-7
III-7
IVj7
V7
VI-7
VII-7/b5
Chordscale
ion
dor
phry
lyd
mixo
aeol
lokr
Moll (Aeolisch)
I-7
II-7/b5
bIIIj7
IV-7
V-7
bVIj7
bVII7
Chordscale
aeol
lokr
ion
dor
phry
lyd
mixo
In einer Kadenz von Stufenakkorden erscheint also jeder Modus einmal als Chordscale und derjenige Modus, der auf Stufe I steht, ein weiteres Mal als Namensgeber
der Tonart .
Akkordfolgen erscheinen uns schlüssig, wenn sie einer nachvollziehbaren Abfolge von Spannung und Entspannung, einer Dramaturgie folgen.
Zur dramaturgischen Gestaltung stehen uns drei Spannungszustände zur Verfügung:
Es fungieren zur Erzeugung
leichter Spannung Akkorde mit Subdominantfunktion ,
von Hochspannung Akkorde mit Dominantfunktion und
von Entspannung Akkorde mit Tonikafunktion .
Eine dramaturgisch geschlossene Akkordfolge besteht also aus mindestens drei Akkorden je eines Funktionsbereiches und wird als Kadenz bezeichnet.
Elementar sind die
klassische Kadenz:
I
IV
V7
I
[ in C-Dur:
C
F
G7
C
]
und die
Jazzkadenz:
Ij7
II-7
V7
Ij7
[ in C-Dur:
Cj7
D-7
G7
Cj7
]
Mehrere Akkorde mit derselben Funktion finden sich innerhalb der Stufenakkorde von Dur und Moll:
Dur (Ionisch)
Ij7
II-7
III-7
IVj7
V7
VI-7
VII-7/b5
Moll (Aeolisch)
I-7
II-7/b5
bIIIj7
IV-7
V-7
bVIj7
bVII7
Akkorde mit derselben Funktion wie bspw. D-7 und Fj7
können einander funktional ersetzen (substituieren ).
Als Grundtyp des Akkordes mit Dominantfunktion erkennen wir den Dur-Septakkord auf der fünften Stufe [ V7 ],
der deshalb Dominantseptakkord heißt.
Grundtyp für die Subdominantfunktion ist gemäß klassischer Kadenz der Dur-Akkord auf der vierten Stufe [ IV ],
während die Jazzkadenz für dieselbe Funktion mit dem Mollakkord auf der zweiten Stufe einen Subdominantstellvertreter verwendet
[ II-7/b5 ].
Grundtyp der Tonikafunktion ist jeweils der Akkord auf der ersten Stufe [ I oder
Ij7 ].
Als harmonischen Rhythmus bezeichnet man den Rhythmus, der durch die Akkordwechsel entsteht. Die Funktionen der Akkorde schaffen zusätzlich
verschiedene Akzentstufen im harmonischen Rhythmus.
Wechseln wir bspw. die Akkorde der Jazz-Kadenz mit jeder Zählzeit und wiederholen diese Form, bewegen wir uns im Vier-Viertel-Takt:
Zählzeiten
1
2
3
4
1
2
...
...
Akkorde
Cj7
D-7
G7
Cj7
Cj7
D-7
...
...
Die Tonikafunktion erzeugt einen stark betonten (schweren) Akzent, die Subdominantfunktion einen mittelstark betonten (halbschweren) und
die Dominantfunktion einen leicht betonten Akzent.
Im Beispiel erzeugen wir also diesen harmonischen Rhythmus:
Zählzeiten
1
2
3
4
Akkorde
Cj7
D-7
G7
Cj7
Akzente
•
•
•
•
Demgegenüber erwarten - und klopfen - wir im Vier-Viertel-Takt intuitiv diese Akzentfolge:
Zählzeiten
1
2
3
4
Akzente
•
•
•
•
Damit schwere Zählzeiten und Tonikafunktionen, leichte Zählzeiten und Dominantfunktionen sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken,
wird die Akkordfolge - und somit der harmonische Rhythmus - dem Rhythmus der Taktart angepasst, z.B.:
Zählzeiten
1
2
3
4
1
2
3
4
Akkorde
Cj7
C6
D-7
G7
Cj7
A7
D-7
G7
Akzente
•
•
•
•
•
•
•
•
Dieselbe Vorgehensweise gilt für größere Formen (Großtakte), bei denen sich ebenfalls schwere und leichte Formteile abwechseln:
Zählzeiten
1
2
3
4
1
2
3
4
1
2
3
4
1
2
3
4
Akkorde
Cj7
D-7
G7
Cj7
D-7
G7
Cj7
A7
D-7
G7
♩ - Akzente
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Takt-Akzente
•
•
•
•
Wenn der harmonische Rhythmus absichtlich gegenläufig zum Rhythmus der Taktart angelegt ist, spricht man von der weiblichen Variante .
Beispiel: George Gershwin Let's Call The Whole Thing Off , B-Teil:
1
2
3
4
1
2
3
4
1
2
3
4
1
2
3
4
C-6
A-7/b5
D7/b9
G-7
C7/b9
F-7
Bb9
Da in Moll (aeolischer Modus) auf der V. Stufe kein Dominantseptakkord entsteht, sondern ein Moll-Septakkord, ist die resultierende
Dominantwirkung schwach. Deshalb ist man dazu übergegangen, diesen Akkord oft zu verduren (= in Dur umzuwandeln:
b3 wird zu 3, V-7 wird zu V7 ).
Natürlich Moll (Aeolisch)
I-7
II-7/b5
bIIIj7
IV-7
V-7
bVIj7
bVII7
↓
V7
Die Chordscale der V. Stufe in Moll ist gemäß Dur-Moll-System phrygisch (in A-Moll weiße Tasten e bis e). Mit dem Kunstgriff der Verdurung
erhöhen wir die phrygische b3 zur 3 und erzeugen damit aus dem phrygischen einen neuen Modus - und weichen von der globalen Intervallstruktur
des Dur-Moll-Systems ab (wir tauschen eine weiße gegen eine schwarze Taste, g wird erhöht zu g#):
Aus
e
U
f
U
g
U
a
U
b
U
c
U
d
U
e
➘
wird
e
U
f
U
U
g#
U
a
U
b
U
c
U
d
U
e
Will man es nicht dabei bewenden lassen, in der aeolischen Stufenakkord-Gruppe lediglich die V. Stufe zu verduren, kann man den erhöhten Ton
auf alle anderen Modi übertragen und damit ein neues Modi-System begründen:
Da die Modifikation aus harmonischen Gründen (stärkere Dominantfunktion der V. Stufe) vorgenommen wurde, nennt sich der Modus der ersten Stufe
Harmonisch Moll (HM). Die übrigen Modi werden lediglich durchnummeriert, so dass der Modus der V. Stufe, von dem die Änderung ausging,
als HM5 gilt.
Der aeolische Modus wird gegen das Harmonisch Moll als sogenanntes Natürlich Moll (NM) begrifflich abgegrenzt. In der Praxis werden NM und HM
häufig vermischt - die Jazzkadenz in Moll steht dafür exemplarisch:
Jazzkadenz in Moll:
I-7
II-7/b5
V7/b9
I-7
in A:
A-7
B-7/b5
E7/b9
A-7
Chordscales:
aeol
lokr
HM5
aeol
a aeol
b lokr
e HM5
a aeol
Überdies existiert eine weitere Moll-Tonart namens Melodisch Moll (MM), die von HM ausgeht und einen weiteren Ton erhöht:
Aus HM:
a
U
b
U
c
U
d
U
e
U
f
U
U
g#
U
a
➘
wird MM:
a
U
b
U
c
U
d
U
e
U
f#
U
g#
U
a
Die Modi von Melodisch Moll:
Um den Stufenakkorden der Tonart mehr Eigenständigkeit in ihrer klanglichen Eigenart zu verleihen, kann man ihnen
ihre jeweiligen fünften Stufen, ihre relativen Dominanten voranstellen.
Beispiel: In dieser C-Dur-Kadenz stellen wir dem D-7 , das Subdominantfunktion hat, seine relative Dominante A7
(V7 /II-7 → sprich:
V7 zu II-7 ) voran:
Cj7
Cj7
D-7
G7
↓
Cj7
A7
D-7
G7
Ij7
V7 /II-7
II-7
V7
Durch Einfügen dieser Zwischen- (oder Sekundär-) Dominante A7 erhält das D-7 die Funktion einer Zwischen-Tonika - das Stück
moduliert nach D-Moll.
Möchten wir diese Wirkung ausbauen, erweitern wir mit der II-7/b5 /II-7 (E-7/b5 ) zur vollständigen sekundären Jazzkadenz
(II-V-I-Kadenz):
Cj7
E-7/b5
A7
D-7
G7
Ij7
II-7/b5 /II-7
V7 /II-7
II-7
V7
Je nachdem, ob wir zu einer Zwischentonika in Dur oder Moll führen, wählen wir entsprechend die Jazzkadenz in Dur oder Moll:
Die üblichen Skalenkombinationen sind dorisch | mixolydisch für die II-V-Verbindung zur Dur-Zwischentonika und
lokrisch | HM5+#9 oder lokrisch | alteriert
zur Moll-Zwischentonika. Siehe → Dominant-Skalen .
Die Dominantfunktion eines Dominantseptakkords beruht auf dem spannungsreichen Tritonus-Intervall zwischen 3 und b7, der sich zur 1 und 3 der Tonika auflöst
(in C-Dur: h zu c und f zu e).
Da der Tritonus die Oktave genau teilt, kann der tiefer liegende Ton um eine Oktave nach oben gelegt werden, ohne dass sich das Intervall ändert. Aus dieser
"Umkehrbarkeit" des Tritonus folgt auch, das jeder Tritonus in zwei Dominantseptakkorden vorkommt:
So enthalten bspw. G7 und Db7 denselben Tritonus zwischen 3 und b7, nämlich h - f bzw. f - h.
Folgerichtig kann nun Db7 ebenfalls die Dominantfunktion für C übernehmen - und somit G7 substituieren. Kurzbezeichnung für das
Tritonus-Substitut: SubV .
Und genau wie die Sekundärdominanten können auch die Tritonus-Substitute durch einen Mollseptakkord im Quintfall vorbereitet werden
( Ab-7 Db7 ), so dass eine substituierende
II-V-Verbindung entsteht: SubII-7 SubV7 .
Die übliche Skalenkombination für die SubII-SubV-Verbindung ist dorisch | mixolydisch #11 .
Der verminderte Septakkord (diminished seventh chord), Dim7 oder X°7 besteht aus vier Tönen im Kleinterzabstand:
Bemerkenswert sind die zwei Tritonusintervalle, die der X°7 zwischen 1 und b5 sowie b3 und 13 enthält.
Die ringförmige Darstellung veranschaulicht die Symmetrie des verminderten Septakkords, der die Oktave in vier gleiche (b3-) Intervalle teilt. Aufgrund dieser Symmetrie
behält der X°7 in jeder seiner vier Umkehrungen die vollverminderte Struktur, d.h. B°7 , D°7 , F°7 und G#/Ab°7
sind Umkehrungen, die einander funktional entsprechen.
Im Beispiel des B°7 erkennen wir zwischen 1 und b5 den Tritonus der C-Dur-Dominante G7 (b - f) wieder, die der
B°7 folgerichtig auch ersetzen kann.
Tatsächlich enthält der B°7 dieselben Töne wie ein G7/b9 , bei dem der Grundton weggelassen wird:
Aus diesem Grund wird der X°7 oft nach dem Dominantakkord benannt, den er häufig funktional ersetzt, nämlich als "verkürzter kleiner
Dominantseptnon akkord“ *) oder als "verkürzter Dominantseptakkord mit tiefalterierter None" ,
symbolisch dargestellt als durchgestrichener X 7/b9 (G 7/b9 = B°7 ).
Durch diese Ersetzung ↕ kann eine chromatische Grundtonbewegung erreicht werden:
(Zwischen-)Dominanten
A7
B7
C7
D7
E7/b9
G7
Stufenakkorde C-Dur
Cj7
↕
D-7
↕
E-7
↕
Fj7
↕
G7
↕
A-7
B-7/b5
↕
Cj7
X°7
C#°7
D#°7
E°7
F#°7
G#°7
B°7
Oder benannt nach den ersetzten Dominanten als verkürzte Dom7/b9 :
verkürzte Dom7/b9
Cj7
A 7/b9
D-7
B 7/b9
E-7
C 7/b9
Fj7
D 7/b9
G7
E 7/b9
A-7
B-7/b5
G 7/b9
Cj7
Eine weitere X°7 -Ersetzung mit dem Ziel chromatischer Grundtonführung findet sich im Blues und Gospel:
G7
G7
↕
Cj7 /E
↕
Cj7 /G
D#°7
F#°7
Als spontan einsetzbarer Vorhalt zur Tonika dient auch der I°7 :
Führt der X°7 zu einem Dur -Akkord, der einen Halbton höher liegt, wählt man als Skala GTHT.
Führt der X°7 zu einem Moll -Akkord, der einen Halbton höher liegt, wählt man als Skala HM7.
Siehe → Dominant-Skalen .
Die Verwendung beider Skalentypen leitet sich aus den Skalen der jeweils ersetzten Dominantsept(non)akkorde her - spielen wir mit HTGT zu
G7/b9 , entspricht dies der GTHT des B°7 . Analog entspricht HM7 von B°7 der
HM5 *) HM5 wird als Dominantskala oft mit #9 angereichert - HM5(+#9)
- für X°7 lautet die Skala übertragen HM7(+j7). von G7/b9 , die verwendet würde, wenn man G7/b9 zu einem
C-7 auflösen würde (bspw. in Bb-Dur, wo C-7 als II-7 erscheint).
Den vier Subdominantakkorden von Natürlich Moll kommt eine besondere Bedeutung zu - gemeinsam mit dem zusätzlichen Akkord bIIj7 aus dem
phrygischen Modus bilden sie die Subdominant-Moll-Familie (SDM), deren Mitglieder auch in Dur-Kadenzen als Subdominantfunktion eingesetzt werden können
(modaler Austausch / modal interchange).
SDM-Akkord
Chordscale in Moll-Tonart
Chordscale in Dur-Tonart
bIIj7
lyd
lyd
II-7/b5
lokr
MM6
IV-6 oder 7
dor
MM
bVIj7
lyd
lyd
bVII7
mixo
mixo#11 = MM4
Typische Beispiele:
Cj7
Fj7
F-7
Cj7 /E
Ij7
IVj7
IV-7
Ij7 /3
➚
Modal Interchange-Akkord aus der SDM-Familie
Cj7
Dbj7
G7alt
Cj7
Ij7
bIIj7
V7
Ij7
➚
Modal Interchange-Akkord aus der SDM-Familie